Landtagswahlen in Ostdeutschland: Transatlantische Inspiration

Autor*innen: Sandra Rath, Axel Ruppert

Deutschlands Progressive kÃķnnten sich von Harris abgucken, wie man den Populisten Paroli bietet. Es braucht ein mehrheitsfÃĪhiges Politikangebot.

Die Landtagswahlen in ThÞringen und Sachsen waren ein Debakel fÞr die progressiven Parteien und auch in Brandenburg droht die AfD zur stÃĪrksten Kraft zu werden. Anstatt sich jetzt von Union, AfD und BSW in den Themen von Asyl- und Migrationspolitik weiter vor sich hertreiben zu lassen, sollten die progressiven politischen KrÃĪfte in Deutschland politische Akzente fÞr ein mehrheitsfÃĪhiges Politikangebot setzen.

Bis zur Bundestagswahl 2025 bleibt Zeit, eine eigene Agenda und Strategie zu entwickeln, was derzeit in den Berliner Parteizentralen mit der Ausarbeitung der Wahlprogramme vorangetrieben wird. Das bedeutet auch, der ErzÃĪhlung der AfD und des BSW vom Niedergang der Ampel alltÃĪgliche Gerechtigkeits- und Verteilungsfragen entgegenzusetzen. Der Unsicherheit vieler, vor allem junger Menschen mit glaubwÞrdigen und pragmatischen LÃķsungen zu begegnen, anstatt sich an den Rechtsextremen abzuarbeiten.

Eine reprÃĪsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ipsos, die im FrÞhjahr im Auftrag der Nichtregierungsorganisation „Das Progressive Zentrum“ in Deutschland und den USA vorgenommen wurde, bietet AufschlÞsse darÞber, wie ein solches Politikangebot aussehen kÃķnnte. Nach den grÃķßten Sorgen gefragt, stehen in Deutschland Lebenshaltungskosten und die Wirtschaft deutlich vor den Themen Migration und Klimawandel.

Auch in den USA treiben Lebenshaltungskosten und wirtschaftliche Sorgen die Mehrheit der Befragten und insbesondere Trump- sowie Nicht­wÃĪh­le­r:in­nen um. Das Thematisieren der alltÃĪglichen, materiellen Sicherheit bietet also gerade Progressiven die Chance, Menschen außerhalb ihrer Basis zu erreichen. Das Wahlkampagnenteam der demokratischen US-PrÃĪsidentschaftskandidatin Kamala Harris und ihres Mitbewerbers Tim Walz scheint genau darauf zu setzen.

In ihrem ersten TV-Interview sprach Harris von einer „Chancengesellschaft“, der sie sich ab dem ersten Tag ihrer PrÃĪsidentschaft widmen wolle. Sie wendet sich damit vor allem an die Mittelschicht, der sie ein Mehr an „wirtschaftlicher Sicherheit, StabilitÃĪt und WÞrde“ bringen will. Zudem sollen die Kosten fÞr GÞter des tÃĪglichen Bedarfs gesenkt werden, unter anderem durch ein bundesweites Verbot von Preisabzocke durch Konzerne bei Lebensmitteln.

Materielle Sicherheit und Gerechtigkeit

Auch eine ErhÃķhung der Unternehmenssteuer bei gleichzeitigen Steuererleichterungen fÞr Arbeiter:innen- und Mittelklassefamilien steht auf ihrer Agenda. Harris gelingt es, nicht nur die alltÃĪglichen Probleme ernstzunehmen und konkrete LÃķsungen vorzuschlagen, sondern sie verbindet materielle Sicherheit mit dem GefÞhl von Gerechtigkeit und einer positiven ZukunftserzÃĪhlung.

Auch wenn ihre Vorhaben in dieser Phase des Wahlkampfs teils vage bleiben und aktuell kaum jemand sagen kann, ob und wie die Ideen durch den Kongress kommen kÃķnnten, liegt Harris in den Umfragen der vergangenen Wochen schon knapp vor Trump. Die Kombination aus affektiver und rationaler Politik, also einerseits das Bedienen von GefÞhlen und andererseits das Vorbringen neuer, greifbarer Gesetzesvorhaben, wie auch die Nominierung des VizeprÃĪsidentschaftskandidaten Tim Walz als Identifikationsfigur der Mittelklasse scheint fÞr das Team Harris gut zu funktionieren.

FÞr Deutschland heißt das: Es lohnt sich, mutig eigene Akzente zu setzen und ein klares Gegenangebot zum konservativ-rechten Diskurs zu formulieren. Progressive sollten mit Nachdruck darÞber nachdenken, wie so etwas wie eine „Chancengesellschaft“ aussehen kÃķnnte, wie materielle Sicherheit und Gerechtigkeit in einer Þberzeugenden ZukunftserzÃĪhlung aufgehen kÃķnnten. Eine solche braucht aber, wie auch bei den US-Demokrat:innen, handfeste Finanzierungs- und UmsetzungsplÃĪne.

Ein Ansatzpunkt kann die Ãķffentliche Infrastruktur und Daseinsvorsorge sein. Neu ist diese Forderung nicht und Geld allein lÃķst keinen Personalmangel, aber eine „Zeitenwende“ fÞr die Ãķffentliche Infrastruktur und Daseinsvorsorge wÃĪre eine spÞrbare PrioritÃĪtenverschiebung. Massive Investitionen in diese Bereiche sind auch eine Antwort auf die Strukturkrise der Wirtschaft und sie wÞrden die Menschen spÞrbar in ihrem Alltag entlasten.

Abstriche bei der Schuldenbremse

Gerade dort, wo sie infolge jahrelanger strenger Sparpolitik vernachlÃĪssigt wurden, schwindet das Vertrauen in die Demokratie. Da profitieren rechtsextreme KrÃĪfte und NiedergangserzÃĪhlungen florieren. Es braucht eine Reform der Schuldenbremse. Dem wÞrden laut Umfrage 77 der Menschen in Deutschland zustimmen, wenn dadurch Investitionen in die Infrastruktur, das Bildungswesen und die Gesundheitsversorgung fließen. Zudem sollte auch auf der Einnahmenseite vor Reformen nicht zurÞckgeschreckt werden.

Wie fÞr Harris in den USA besteht in Deutschland das Potenzial, durch SteuererhÃķhungen fÞr Unternehmen und Spit­zen­ver­die­ne­r:in­nen dem Gerechtigkeitsversprechen nicht zuletzt fÞr die Mitte GlaubwÞrdigkeit zu verleihen. In Deutschland kÃķnnte das konkret durch die WiedereinfÞhrung der VermÃķgenssteuer, die ErhÃķhung des Spitzensteuersatzes und die EinfÞhrung einer Übergewinnsteuer bei einer Ausweitung des ermÃĪßigten Steuersatzes auf weitere Grundnahrungsmittel geschehen.

Bei alldem sollten Progressive in Sachen Klimaschutz jetzt nicht klein beigeben. 52 Prozent der Befragten in Deutschland sind der Ansicht, dass ehrgeizigere Maßnahmen zum Klimaschutz der Regierung mehr Vorteile als Risiken bringen kÃķnnten, etwa im Hinblick auf den Arbeitsmarkt oder die Exportwirtschaft. Progressive mÞssen den grÞnen Umbau bestehender Industrien weiter vorantreiben und Planungssicherheit schaffen.

Es gilt, diese knappen Mehrheiten auszubauen und all die diejenigen, die sich VerÃĪnderung wÞnschen und auf sie angewiesen sind, nicht im Stich zu lassen.

Der Gastkommentar ist am 11.09.2024 bei TAZ online erschienen.

Axel Ruppert ist als Projektmanager zustÃĪndig fÞr internationale Projekte zur sozial-Ãķkologischen Transformation in den Schwerpunkten Green New Deal und Resiliente Demokratie des Progressiven Zentrums.

Sandra Rath arbeitet als Projektmanagerin im Bereich Green New Deal an den internationalen Projekten des Progressiven Zentrums. Ihre Interessengebiete umfassen die Innen- und Außenpolitik der USA, die transatlantische Partnerschaft und den Blick auf die internationale Ordnung in der Transformation, insbesondere aus feministischer Perspektive.