Das Ringen der US-Politik um die Arbeiter des Mittleren Westens

Autoren: Leon Tiedemann-Friedl, Friedrich Opitz

In den Industriestaaten des mittleren Westens werden kommende Woche die US-PrÃĪsidentschaftswahlen entschieden. Trotz einer auf dem Papier erfolgreichen Wirtschaftspolitik mag sich kaum jemand festlegen, wie das Rennen in den Swing States ausgeht. Die Bidenomics haben Þber die vergangenen Jahre Milliarden US-Dollar in die alten Industrieregionen gespÞlt und sind dabei auch nicht vor protektionistischen local content-Vorgaben zurÞckgeschreckt. Viele der sogenannten SchutzzÃķlle, die Donald Trump in seiner Zeit im Weißen Haus unter großem Protest der Demokraten eingefÞhrt hatte, wurden von Biden beibehalten und sind den Arbeiter:innen des Mittleren Westens noch im Hinterkopf.

Allerdings Þbersetzt sich die Wirtschaftspolitik Bidens nicht in gute Umfrageergebnisse. Noch immer tendiert mindestens die HÃĪlfte der WÃĪhler:innen zu Trump. So zeigten sich beispielsweise lokale Gewerkschaftsvorsitzende bei unserem Besuch in Youngstown im Rahmen einer Delegationsreise durch den Mittleren Westen besorgt Þber den weiterhin großen RÞckhalt unter ihren Mitgliedern fÞr den ehemaligen republikanischen PrÃĪsidenten. Bei Ford in Dearborn spricht das Management von “grÞnen Net-Zero-Strategien”, wÃĪhrend in der Montagehalle minÞtlich Autos aus einer anderen (fossilen) Zeit vom Band rollen und Arbeiter:innen mit Blick auf die Produktion von E-Autos um ihre Jobs fÞrchten mÞssen. 

Die GesprÃĪche mit den Menschen im Mittleren Westen machen deutlich: Bei dieser Wahl ringen die demokratische und die republikanische Partei auch um die Deutungshoheit, Geschwindigkeit und Gewinner und Verlierer der grÞnen Transformation. Beide Kandidat:innen versprechen wieder mehr Produktion in den USA und rÞcken die Ãķkonomische Situation der amerikanischen Middle Class in den Fokus. Doch die Fortsetzung der grÞnen Industriepolitik durch Harris steht dem “Drill, Baby, Drill” gegenÞber – dem Versprechen auf niedrigere Energiepreise durch stÃĪrkere FÃķrderung von amerikanischem Öl und Gas.

GrÞne Wirtschaftspolitik nur dann, wenn ihre Vorteile unmittelbar spÞrbar sind

Besonders heftig tobt diese Debatte in den industriellen Kernregionen des Mittleren Westens, die sich von Wisconsin Þber Ohio bis nach Pennsylvania erstrecken. Diese Regionen haben in den vergangenen Jahrzehnten einen tiefgreifenden und schmerzhaften Wandel durchlebt – auch deswegen wird der Verlust von IndustriearbeitsplÃĪtzen im Wahlkampf immer wieder zum zentralen Thema. Dass sich Trump lauthals gegen den „Green New Scam“ aus Washington positioniert, verfÃĪngt hier – ein PhÃĪnomen, das auch in Teilen (Ost-)Deutschlands zunehmend zu beobachten ist.

Schon jetzt lassen sich deshalb Lehren aus dem amerikanischen PrÃĪsidentschaftswahlkampf fÞr die deutsche  Bundestagswahl 2025 ziehen. Die AnfÃĪnge des Strukturwandels sind in den Industrial Heartlands des Mittleren Westens sichtbar, doch die Skepsis gegenÞber einer nachhaltigeren Wirtschaftspolitik bleibt groß. GrÞne Wirtschaftspolitik wird hier nur noch akzeptiert, wenn ihre Vorteile unmittelbar spÞrbar sind fÞr die Menschen. Der Diskurs dreht sich um kitchen table issues, also Anliegen, die Familien abends am KÞchentisch beschÃĪftigen, zum Beispiel bessere LÃķhne, sauberes Trinkwasser, saubere Luft. Moralische oder politische Argumente reichen lÃĪngst nicht mehr aus.

Unter den left behinds in Youngstown

Wir treffen Robert* in einer kleinen Montagehalle in einem Industriepark von Youngstown. Er hat einige lokale Gewerkschaftsvorsitzende mitgebracht – allesamt weiße, krÃĪftige MÃĪnner jenseits der 40. Wir werden mit fein sÃĪuberlich aneinandergereihten Tischen,  Namensschildern und umfassenden BroschÞren empfangen. Man spÞrt, sie sind stolz auf das, was sie hier machen. Angesprochen auf grÞne Wirtschaftspolitik erwidern sie, es seien Umweltauflagen gewesen, die in den 1980er und 90er Jahren zum Niedergang des Ortes beigetragen haben. Die dreckige Stahlproduktion sollte sauberer werden – aber sie wurde eben auch teurer. Diese Erinnerung scheint sich in das kollektive lokale GedÃĪchtnis eingebrannt zu haben. 

UnerwÃĪhnt bleibt, dass die industrielle Produktion in den 70ern und 80ern auch wegen geopolitischer Energiekrisen, zunehmendem Wettbewerb aus Japan und Deutschland, falschen Managemententscheidungen sowie einem Bruch zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern einbrach. Die Deindustrialisierung war in Teilen das Ergebnis eines Strategic Disinvestment, wie es die Ökonomen Bluestone und Harrison nannten. Vor diesem Hintergrund des Verlusts fÃĪllt die Stimmungsmache der Republikaner gegen Elektroautos und erneuerbare Energien auf fruchtbaren Boden. 

Es ist ein Boden, der auch durch die Erfahrungen aus der Freihandelspolitik der 90er Jahre bereitet wurde. Das von den Republikanern unter Ronald Reagan konzipierte, aber von Bill Clinton – auch gegen den Widerstand der Gewerkschaften – verabschiedete Nordamerikanische Freihandelsabkommen (North American Free Trade Agreement, kurz: NAFTA) lÃĪsst den Pulsschlag im Mittleren Westen in die HÃķhe schnellen; NAFTA wird vielerorts als Ursache fÞr die massiven Arbeitsverluste ab Mitte der 90er Jahre gesehen und bis heute den Demokraten angelastet. WÃĪhrend Hillary Clinton 2016 die Entscheidung ihres Mannes noch verteidige, hat Trump das Abkommen in seiner ersten Amtszeit neu verhandelt und bezeichnet es auch in diesem Wahlkampf als das schlechteste Freihandelsabkommen der Geschichte. 

Bei unserem Besuch in der Montagehalle in Youngstown wirken diese Erfahrungen nach: Ein Arbeiter erzÃĪhlt, wie sein Vater seinen Job verlor, als er 18 Jahre alt war; aber er konnte etwas anderes finden – anders als viele andere MÃĪnner. Sie wurden verbittert gegenÞber jedem und allem – und gaben ihre Verbitterung an ihre Kinder weiter, erinnert sich einer der Gewerkschafter. Im IndustriegÞrtel wurden zwischen 1997 und 2020 90.000 Werke dicht gemacht – fÞnf Millionen ArbeitsplÃĪtze in der Fertigung gingen verloren, die Einkommensungleichheit stieg. Der Freihandel brachte den Vereinigten Staaten einen betrÃĪchtlichen Nettogewinn ein, benachteiligte aber Menschen ohne Hochschulabschluss in Orten wie Youngstown – zum damaligen Zeitpunkt mehr als 60 Prozent der BevÃķlkerung.

Der britische Verhaltensforscher Michael Marmot setzt den Verlust des Jobs mit dem psychischen Schmerz des Verlusts des Ehepartners gleich. In den Worten eines weiteren Gewerkschafters klingt das so: „Warum wollen so viele unserer Mitglieder fÞr Trump stimmen? Weil viele das GefÞhl haben, dass sie irgendwie – in Ermangelung besserer Worte – verarscht wurden. Also wÃĪhlen sie Trump. Sie haben das GefÞhl, dass ihnen jemand etwas weggenommen hat, das sie sich verdient haben.“ Auch die amerikanische Kulturwissenschaftlerin Sherry Linkon zeigt, wie die Deindustrialisierungserfahrungen in vielen Gebieten bis heute nachstrahlen – ein nicht zu vernachlÃĪssigender Faktor hinsichtlich der Frage, warum auch so viele junge Menschen ohne unmittelbare Deindustrialisierungserfahrung fÞr diese Narrative empfÃĪnglich sind. 

Der Blick nach vorn: pragmatisch statt skeptisch?

Doch die 90er blieben nicht die letzte Episode des Niedergangs. Auch die Finanzkrise 2008 traf die Region hart. Ein anderer Arbeiter erinnert sich: „Um 2008 hatten wir in den meisten Gewerken eine Arbeitslosenquote von 30 bis 35 Prozent. Es war ein dramatischer wirtschaftlicher Abschwung. Menschen riefen an und sagten: ‘Ich verliere mein Haus, ich lasse mich scheiden, meine Kinder lieben mich nicht mehr, ich denke an Selbstmord.’ Das alles war real.“ 

Doch ein widerspenstiger Stolz auf ihre Region und ihre industrielle Vergangenheit scheint den Gewerkschaftern geblieben zu sein. In ihren Augen ist und bleibt die Region einzigartig – in dem, was sie war, was sie verloren hat und auch in dem, was sie wiedererlangen kann. Die Menschen hier hÃĪtten gelernt, nicht mehr nur auf eine Karte zu setzen – die Vergangenheit habe gezeigt, wie gefÃĪhrlich das ist. „FrÞher waren wir Stahlwerker – das war alles. Und jeder hat sein Vertrauen in diese eine Industrie gesetzt. Jetzt versuchen wir, uns zu diversifizieren“, erklÃĪrt Robert. Und dann dringt bei aller Skepsis dieser Stolz durch auf das, was sie hier tun – auch in Bezug auf die grÞne Industriepolitik: „The climate crisis cannot be solved with software”, sagt Robert. Und wenn jemand wisse, wie man Dinge baut, dann wÃĪren sie das: die Handwerker aus Youngstown.

Heute sehen sie eine Chance im Auf- und Ausbau der neuen Industrien und der Ausbildung junger Menschen fÞr diese Bereiche. Es Hoffnung zu nennen wÃĪre zu viel – aber der Blick geht nach vorn. „Wir mÞssen neue, junge Leute fÞr unsere Jobs gewinnen“, sagt der Gewerkschaftsvorsitzende, “und das machen wir auch. Es gibt keinen FachkrÃĪftemangel, es gibt einen Ausbildungsmangel fÞr die Jobs der Zukunft.” ZukÞnftig sollen Batterien, Rechenzentren und Technologien wie Kohlenstoffbindung die Region voranbringen. Die Gewerkschafter sprechen in diesem Atemzug von einem Investitionsumfang von einer Billion Dollar in industrielle Projekte, die laut HÃķrensagen hier in den kommenden fÞnf bis zehn Jahren angegangen werden sollen. 

Doch fÞr diese Projekte brauche es junge Leute, die nicht an der UniversitÃĪt versauern, sondern das Land wiederaufbauen und fair bezahlt werden, sagen die Gewerkschafter in Youngstown. Viele wÞrden lieber mit ihren HÃĪnden an etwas mitwirken, statt hohe Studienkredite abzustottern. „Sie wollen stolz auf etwas sein, mit ihrer Familie die Straße entlangfahren und sagen: Siehst du das GebÃĪude dort? Daran waren wir beteiligt.“ Diese Selbstwirksamkeit und das GefÞhl, Teil von etwas GrÃķßerem zu sein, wÞrden sie dann ein ganzes Leben in sich tragen.

Und die unermÞdliche Wiederholung dieses beinahe heilig anmutenden Industrie-Mantras scheint zunehmend FrÞchte zu tragen. Die Gewerkschaften gewinnen langsam wieder an Zulauf, die Organisationsquote steigt. Neue Allianzen entstehen – etwa zwischen Industriegewerkschaften und Angestellten im Ãķffentlichen Dienst oder auch an UniversitÃĪten. Das bringt neue StÃĪrke in der Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern – eine StÃĪrke, die zuletzt im erfolgreich Þber Social Media gefÞhrten Tarifkonflikt zwischen den Autobauern der UAW und den Big Three sichtbar wurde: Ford, General Motors und Chrysler. Ein Ergebnis: 25 Prozent mehr Lohn. 

Denn was fÞr die Gewerkschafter zÃĪhle, sagt Robert, seien existenzsichernde LÃķhne, mit denen die Familie ernÃĪhrt, die Kinder zur Schule geschickt, Krankenversorgung finanziert und in den Ruhestand gegangen werden kann. Und er gibt zu, dass sie es auch der Biden-Administration und ihrer grÞnen Industriepolitik zu verdanken haben, dass man hier vorangekommen ist. Gleichzeitig macht er klar, dass die Installateure und Rohrleger von Youngstown, die in Atomkraftwerken, Kohlekraftwerken und Gasanlagen gearbeitet haben, “alle Formen der Energieerzeugung unterstÞtzen”. 

Doch der Pragmatismus scheint die Skepsis zu verdrÃĪngen – ein wenig zumindest. Wenn Robert jetzt zu den Gewerkschaftsversammlungen geht, sprÃĪchen sie nicht Þber Republikaner, Demokraten oder UnabhÃĪngige, sondern Þber die arbeitnehmerfreundlichen Kandidat:innen. Am Ende sei egal, ob “jemand Demokrat, Republikaner oder UnabhÃĪngiger ist – solange er unterstÞtzt, was wir tun, uns hilft, Geld zu verdienen und unsere Familien zu ernÃĪhren”.

Autos, die nicht in die Welt von Pariser Klimaabkommen und Nachhaltigkeitszielen passen

Auch bei unserem Besuch im geschichtstrÃĪchtigen Ford Rouge Complex – dem Mutterschiff des Konzerns in Dearborn – schwingt bei jedem Satz die Frage nach den Gewinnern und Verlierern des Strukturwandels mit. Hier lÃĪuft weiterhin der F150 vom Band – ein sechs Meter langer, fast zwei Meter hoher Truck mit einem Verbrauch von mehr als 10 Litern pro 100 Kilometer. Im Jahr 2023 immer noch das meistverkaufte Auto in den USA. 

Alle 60 Sekunden wird hier ein Auto produziert, das nicht so ganz in die Welt von Pariser Klimaabkommen und Nachhaltigkeitszielen passen will. Dagegen hÃĪlt die Konzernspitze die Umstellung auf ElektromobilitÃĪt als strategisches Ziel – inklusive mÃĪchtigem Imagefilm, der uns zu Beginn im 3D-Kino stolz prÃĪsentiert wird. WÃĪhrend der Film lÃĪuft setzen zwei Roboterarme neben uns in Echtzeit einen Truckrohling zusammen. Menschliche Arbeiter:innen sind im ganzen Film nicht zu sehen; erst am Ende dÞrfen zwei von ihnen einige Stellen an der Karosserie blank polieren. Das ist er also: der neue F150 Lightning, die elektrifizierte Version des Fordtrucks. Doch mehr als 80 Prozent der Autos, die in Dearborn produziert werden, bleiben Verbrenner. 

Wie die deutschen Autobauer hat auch Ford große Investments in die heimische Batterieproduktion angekÞndigt – bis diese Fabriken jedoch den Bedarf fÞr die heimische Nachfrage nach Trucks decken, dÞrfte es noch ein wenig dauern. Zugleich kÃĪmpfen auch die amerikanischen Autobauer mit der einbrechenden Nachfrage bei Elektroautos. Die Early adopters seien abgegrast, der amerikanische Otto Normalverbraucher noch nicht Þberzeugt. Die Reichweite der EVs und die Ladeinfrastruktur seien dem Lifestyle der US-Amerikaner:innen, zu dem immer noch lange Roadtrips mit dem Auto durch das ganze Land gehÃķren, nicht gewachsen. 

Das sah auch Andy Levin, ehemaliger Abgeordnete der Demokraten im ReprÃĪsentantenhaus, so und brachte gemeinsam mit seiner progressiven und umstrittenen Kollegin aus New York, Alexandra Ocasio-Cortez, den EV Freedom Act ein. Die Initiative sollte 500.000 neue Ladestationen fÞr Elektroautos im ganzen Land schaffen. Doch der Vorschlag scheiterte frÞh, die LÞcke bei der Infrastruktur bleibt. Ford will nun mit Hybridautos die Übergangsphase ÞberbrÞcken – ein Weg, der in der deutschen Debatte auch angesichts stark steigender Ausbauzahlen bei den Ladestationen kaum noch ein Thema ist. 

Was beim Fabrikbesuch aber auch klar wird: Ohne den herkÃķmmlichen Antriebsstrang, der bei Elektroautos nicht mehr nÃķtig ist, und solange die Batterien aus China importiert werden, braucht Ford bei der Produktion der Elektroversion des F150 bei Weitem nicht so viele Arbeiter:innen wie beim Verbrenner – genaue Zahlen sind aber vage und wohl auch Teil politischer Aushandlungen. Und das Herz des Lightning, die Batterie, kommt derzeit noch von CATL aus China. Die Umstellung der Produktion wolle man daher mit den Gewerkschaften so gut wie mÃķglich und gemeinsam gestalten. Dass sie Konsequenzen fÞr die Arbeiter vor Ort haben wird, scheint jedoch unausweichlich. So lÃĪsst sich die Skepsis der Menschen in Dearborn, ob dieses Projekt wirklich auch fÞr sie aufgeht, nachvollziehen.

Expert:innen und Mitgestalter:innen der Transformation

Klar ist: Der Strukturwandel in den Industrial Heartlands ist nicht vorbei. Und die Arbeit bleibt eine zentrale IdentitÃĪtsquelle fÞr die Menschen vor Ort. Der Industriestolz sowie die Bildungsbiografien der Menschen aus der Region kÃķnnen StÃĪrke und Standortvorteil sein, wenn man sie richtig zu nutzen weiß. Bidens Versuch, den Einzelnen mit dem American Climate Corps fÞr eine grÃķßere Zukunftsmission zu gewinnen, ging in die richtige Richtung. FÞr Deutschland, das Land der TÞftler und Ingenieure, wÃĪre ein vergleichbarer Ansatz nicht abwegig. 

Zugleich ist die Entwicklung hin zu klimaneutralen Technologien und dem damit verbundenen globalen Wettbewerb nicht mehr zu leugnen – dieser Prozess ist in vollem Gange. In den kommenden zehn Jahren wird ein erheblicher Teil der WertschÃķpfung durch eine intelligente Kombination aus nachhaltigeren Produktionsprozessen und digitalen Technologien entstehen. Die Kosten einer inkonsequenten Politik in diesen Bereichen sind – gerade in der Autoindustrie und auf beiden Seiten des Atlantiks – lÃĪngst sichtbar. Umso mehr sollte die Skepsis der Menschen, die eben auch Ausdruck von Sorge ist, ernst genommen werden. Sie mÞssen aktiv angesprochen und nicht nur als Zuschauer:innen, sondern als Mitgestalter:innen der Transformation wahrgenommen werden. Und es muss veranschaulicht werden, dass es auch fÞr sie als Individuum etwas zu gewinnen gibt. Diese Menschen kÃķnnen Transformationsexpert:innen sein, denn sie kennen beide Seiten der Medaille des Strukturwandels.

Ansonsten kÃķnnen die Menschen in den Industrial Heartlands auf mehr als nur ihren Stolz und ihre Erfahrung hoffen: Die Great Lakes-Region, die den Rust Belt und das industrielle Herzland umfasst, kÃķnnte schon in den kommenden Jahren Ziel klimabedingter Migration werden. Menschen aus Florida, Arizona und Kalifornien, die von den sich mehrenden Extremwetterereignissen wie Hurrikans, Hochwassern und WaldbrÃĪnden vertrieben werden, kÃķnnte es in den Norden ziehen – und mit ihnen auch die Industrie. Die Region ist reich an SÞßwasser, hat fÞr amerikanische VerhÃĪltnisse eine gute Infrastruktur, die einmal fÞr sehr viele Menschen ausgelegt war, samt vielen Bildungseinrichtungen und lockt mit großzÞgiger FlÃĪche und moderaten Immobilienpreisen. 

Damit das alles greift, bedarf es jedoch einer gewissen politischen StabilitÃĪt und einer Politik, die nicht aufstachelt, sondern eine Perspektive gibt. Die Kommunikation und Programme der Demokraten im Kontext des strukturellen Wandels scheinen diese Erwartung noch nicht vollends zu erfÞllen. Deutschland und Europa tun dennoch gut daran, die Herausforderungen dieser Region zu beobachten – und von ihrer Entwicklung zu lernen.

* Name redaktionell geÃĪndert

Dieser Text entstand im Rahmen einer Studienreise der Industrial Heartlands Fellows durch zentrale Transformationsregionen in Ohio sowie den Swing States Pennsylvania und Michigan im Oktober 2024.

Leon Tiedemann-Friedl ist Referent in der Abteilung fÞr Politische Planung, Grundsatzfragen und Gesellschaftlicher Dialog im Bundeskanzleramt. Dort ist er zustÃĪndig fÞr die Allianz fÞr Transformation, den Leitdialog des Bundeskanzlers mit Wirtschaft, Sozialpartnern, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zu Fragen der Transformation und des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Zuvor arbeitete er u.a. in der Leitungsabteilung des Bundesfinanzministeriums, im Strategie-Team von UN-GeneralsekretÃĪr AntÃģnio Guterres in New York sowie in Strategieberatungen und Technologieunternehmen.

Friedrich Opitz ist Promotionsstipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes und aktuell als Visiting Scholar an der University of Wisconsin at Madison. Friedrich schreibt an der UniversitÃĪt Leipzig seine Dissertation vergleichend zum Strukturwandel in Ostdeutschland und im Mittleren Westen der USA. Parallel ist er Dozent fÞr Internationale Beziehungen an der TU Dresden und Associate Fellow bei der Deutschen Gesellschaft fÞr AuswÃĪrtige Politik. Friedrich leitet die Arbeitsgruppe Klima, Arbeit und Innovation im Industrial Heartlands Fellowship.